Sommer in Himmelsreich, Teil 2 - Burg und Kloster

Sommer in Himmelsreich, Teil 2 - Burg und Kloster
Hardcover A5, 2016
152 Seiten
12,50 €
zu bestellen unter: info@zwiebelfischverlag.de
oder im Buchhandel unter Angabe der ISBN: 978-3-935448-16-1

Da es sich bei "Sommer in Himmelsreich" um einen Fortsetzungsroman handelt, setzt der 2. Teil natürlich genau dort an, wo der 1. Teil aufgehört hat ...

... Pat, der unter dem Schloss einen Geheimgang entdeckt hat, folgt gemeinsam mit Tim dem Verlauf dieses Ganges, der an einer schmalen Holztür endet. Dahinter liegt ein Gebäude, das von Mönchen bewohnt wird. Haben sie das sagenumwobene Kloster Himmelsreich entdeckt, nach dem die Gegend benannt worden ist? Oder wird hier ein Film über das Mittelalter gedreht? Und was hat die erneute Begegnung mit dem kleinen Glatzkopf zu bedeuten? Was Pat und Tim bisher nicht wissen: Sie sind nicht nur Beobachter, sie wurden und werden auch selbst beobachtet …

Für alle Leser ab 10 Jahre

Im Zweiten Teil spielt sich das Geschehen hauptsächlich hier ab

:

 

Leseprobe

1
Pat und Tim
Gegner und Verbündete

Der Fußballplatz schien gut besucht zu sein. Die Rufe und das Geschrei tönten schon von Weitem. Trotzdem blieben Pat und Tim überrascht stehen, als sie um die Ecke der Turnhalle bogen. Mit so einem Gewusel hatten sie nicht gerechnet! Zwanzig bis dreißig Gestalten waren zu sehen, viele in ihrem Alter, ein paar jünger. Nicht alle befanden sich auf dem Spielfeld. Die kleineren Jungen mussten sich ganz offensichtlich mit der Rolle als Ballholer zufriedengeben. Jedes Mal, wenn der Ball im Aus landete, lief einer von ihnen los. AUS bedeutete, dass der Ball in den Brennnesselfeldern hinter den mannshohen Hecken verschwand, die den Fußballplatz von zwei Seiten begrenzten. Die anderen Seiten hielten den Ball von selbst im Spiel. Rechts prallte er von der Rückwand der Turnhalle zurück, und nach hinten war ein Fangnetz vor einem hohen Drahtzaun aufgespannt. Zwei Schilder flankierten die verschlossene Eingangstür. Das kleinere und schon ziemlich verrostete verriet, dass es sich bei der Steinwüste, die sich dahinter ausbreitete, um die Ausgrabungsstätte Tannenwalde handelte, bei der man hoffte, Teile des alten, ursprünglichen Dorfes freilegen zu können. Das andere Schild dagegen verkündete unmissverständlich:

Zutritt nicht gestattet –
Lebensgefahr durch Verschüttung!

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Unterzeichnet war es vom Bürgermeisteramt der Großgemeinde Himmelsreich, wobei der Namenszug Pistorius deutlich lesbar über dem Stempel stand.
In der Schnittstelle zwischen Fangnetz und Rückseite der Turnhalle, nicht weit vom anmontierten Basketballkorb entfernt, waren auch die Mädchen zu sehen. Sie saßen auf Decken unter einem bunt bedruckten Sonnenschirm, umgeben von Rucksäcken, Taschen und Kleidungsstücken, die weit verstreut herumlagen. Aus dem Wassereimer, der ebenfalls dort im Schatten stand, ragten Flaschenhälse für Wasser, Eistee und Limonade heraus. In der Mädchenrunde herrschte ebenso viel Lärm und Bewegung wie auf dem Fußballplatz. Es wurde geredet, gestritten und gelacht, nur das Fußballspiel selbst interessierte niemanden. Eines der Mädchen hatte ihr Handy am Ohr, wobei sie mit Armen und Beinen gestikulierte, ein anderes verteilte Sonnencreme über ihren Körper und die große Blonde, die Pat als Tochter des Bäckers wiedererkannte, hielt sich einen kleinen Spiegel vors Gesicht, als sie mit einem Stift die Linien ihrer Lippen nachzog. Tim stieß Pat in die Seite, wackelte mit dem Kopf und nickte anerkennend zu ihr hinüber. Herausgeputzt sah die Blonde schon ziemlich erwachsen aus, dabei konnte sie kaum älter als Pat oder Tim sein.
Im Näherkommen erkannte Pat, dass es doch ein Mädchen gab, das sich auf dem Fußballplatz befand. Sie war klein und schmal und die rotblonden, geflochtenen Zöpfe wirbelten um ihren Kopf, wenn sie über den Platz dribbelte. Der Ball schien ihr dabei fast am Fuß zu kleben. Den Spielern der Gegenmannschaft gelang es nur mit Mühe, sie zu stoppen. Entweder bedurfte es eines Fouls oder sie wurde von zwei Leuten in die Zange genommen. Das Gesicht des Mädchens ähnelte jenem des Plantagenarbeiters, der sich gestern mit Hartmann vor der Bäckerei gestritten hatte. Pat versuchte, sich an dessen Namen zu erinnern; Bar… Baron… Baronowski hieß er oder so ähnlich. Ob er der Vater des Mädchens war?
»Verschwindet!«, brüllte es plötzlich. »Wir bestimmen, wer bei uns mitspielen darf und wer draußen bleibt. Oder ihr geht rüber zu den Babys und sammelt die verschossenen Bälle ein. Mehr ist für euch nicht drin.«
Der Besitzer der Stimme befand sich mitten auf dem Platz und war stehen geblieben. Pat erkannte ihn sofort. Das traf sich gut – mit dem Bürschchen aus dem Wald, das ihre Sachen geklaut hatte, galt es, noch eine Rechnung zu begleichen! Er lehnte sein Rad gegen die Wand der Turnhalle und steuerte das Spielfeld an, während ihm der Junge mit fins-terem Blick entgegenstarrte. Da schoben sich zwei Gestalten rechts und links neben ihn. Obwohl sie ihre tief hängenden Hosen gegen verschwitzte Sportshorts getauscht und die Caps abgelegt hatten, waren sie unverkennbar. Ihre Hakennasen stachen ihnen wie Wahrzeichen aus den Gesichtern.
»Was ist los, Benjamin?«, fragte einer der Hip-Hopper. »Gibt’s Probleme mit denen?«
»Klar, Frankie, das sind die, die an unserer Badestelle waren und mich verdreschen wollten.«
Der mit Frankie Angesprochene versuchte daraufhin, Pat drohend anzusehen, was ihm jedoch gründlich misslang. Es lag an seinen Augen, die sich nicht parallel zueinander bewegten. Der daraus entstehende Silberblick verhinderte, dass er jemanden direkt ansehen konnte. Das widersprach natürlich seiner vermeintlichen Coolness. Wäre ihm die Gefahr nicht bewusst gewesen, die sich gerade zusammenbraute, hätte Pat Frankie einfach ausgelacht.
Der verschärfte seinen Ton. »Kleine Jungs einschüchtern, das traut ihr euch, hä? Wenn aber richtige Gegner vor euch stehen, dann habt ihr die Hosen voll!«
Hinter ihm warfen sich sein Zwillingsbruder und Benjamin hämisch grinsende Blicke zu. Pat atmete tief durch. Eines ließ sich nicht leugnen: Das Trio führte hier im Dorf ganz offensichtlich das Kommando und hatte das Sagen. Am besten wäre es, eine Art Entschuldigung anzubringen, um somit die unvermeidlich scheinende Prügelei zu verhindern. Da er wusste, dass er sich dabei nur wieder verhaspeln würde, musste Tim das Sprechen übernehmen. Als er seinem Cousin ein Zeichen geben wollte, stellte er erschrocken fest, dass der nicht im Geringsten an einem Einlenken interessiert war. Ganz im Gegenteil, Frankies Sprüche schienen Tim herauszufordern. Er stellte sich in Pose, bewegte Hände und Arme wie eine Marionettenpuppe und warf den Kopf zurück. »Hey, Kumpel, mach schunkel, schunkel und entspann dich, okay?«
Pat verdrehte innerlich die Augen. Tim war in Hochform, zumindest was seine Reimereien und das schnelle Mundwerk anbelangten. Den beiden HipHop-Gangstern gefror das Grinsen in den Gesichtern. Sie nickten sich zu und pumpten die Brustkörbe auf. Langsam, mit steifen Schritten, steuerten sie den Spielfeldrand an. Hinter ihnen hüpfte Benjamin auf und nieder.
»Ja-ha-jaaaa«, brüllte er, »jetzt kommt die Rache für gestern! Gebt denen was auf die Nase, und zwar richtig!«
Von den anderen Fußballspielern, das konnte Pat sehen, nutzten nur zwei oder drei die unverhoffte Pause, um zum Sonnenschirm hinüberzulaufen und nach den Flaschen im Wassereimer zu greifen. Der Rest verharrte auf den jeweiligen Postionen und beobachtete schweigend das Geschehen. Auch am Spielfeldrand bei den Mädchen waren die Unterhaltungen verstummt. In den Augen aller stand deutlich zu lesen, dass sie den beiden Fremden keinerlei Chancen einräumten. Tim achtete nicht darauf. Er war zu sehr in Fahrt, um die Folgen seines Geplappers abzuwägen.
»Hey, hey, hey, Leute, bleibt ganz ruhig; es gibt keinen Grund, sich aufzuregen! Niemand will euch die Badestelle wegnehmen oder den Fußballplatz, so’n Quatsch.« Er deutete auf den Korb, der an der Längsseite der Turnhalle hing. »Basketball, dafür schlägt unser Herz – bumm, bumm, bumm – ganz ohne Schmerz.«
Er bückte sich und griff nach dem Fußball, der an den Rand des Spielfeldes gerollt war. »Ich zeig euch Flachzangen einfach mal, worum es überhaupt geht.«
Langsam, den Ball immer wieder auf den Boden tippend, bewegte er sich auf die Turnhalle zu. Überrascht blieben die Hip-Hopper stehen. Niemand sagte ein Wort, während Tim erst mit plumpen, linkisch wirkenden Finten unsichtbare Gegner austrickste, bevor er an der Dreierlinie abstoppte, um den Ball von dort aus mit einem zielgenauen Wurf im Korb zu versenken. Natürlich erinnerte sich Pat, dass Tim irgendwann erzählt hatte, jeden Tag nach der Schule mit dem Basketball zu üben. Bisher war er lediglich von einer weiteren, maßlosen Übertreibung ausgegangen.
»Super – hahaha – Supertrooper«, jubelte Tim unterdessen und riss die Arme nach oben. »Wo bleibt der Applaus, meine Damen und Herren?«
Zwei der Mädchen begannen tatsächlich zu klatschen. Tim deutete als Dank eine Verbeugung an. Als sich jedoch die Köpfe der HipHop-Brüder den beiden Mädchen zuwandten, verschränkten diese erschrocken ihre Arme vor der Brust, und die Blonde, die ihren Spiegel und die Schminksachen wieder verstaut hatte, musterte Tim verächtlich.
»Denkst du, damit kannst du irgendjemanden beeindrucken?«, rief Frankie Tim zu. »Hier wird Fußball gespielt. Das ist richtiger Sport.«
Innerlich musste ihm Pat recht geben. Er spielte auch lieber Fußball. Trotzdem – Tims Wurf war beeindruckend gewesen.
»Verschwindet, das ist unser Platz«, brüllte Benjamin und wedelte mit den Armen. »Da spielen nur Leute von hier.«
»Ach«, entfuhr es Pat und nickte in die Richtung der HipHop-Gangs-ter, »u… und w… was ist mit den b… b… beiden?«
Deutlich spürte er, wie seine Kehle den Redefluss blockierte, als müsse sie gegen eine Tube Kleister ankämpfen, die sich darin eingenistet hatte. Vor Wut hätte Pat aus der Haut fahren können. Dadurch aber, das wusste er genau, würde es noch schlimmer werden. Voller Frust verstummte er.
»Stimmt«, eilte ihm Tim zu Hilfe, »die sollen ja aus der Landeshauptstadt stammen.«
Die Hip-Hopper achteten nicht auf ihn. Ihre Aufmerksamkeit galt bereits Pat.
»H… h… hallo G… G… Großer«, äffte ihm Frankie nach, wobei seine Augen wiederum auf jemanden gerichtet waren, der hinter Pat zu stehen schien. »Wenn du mit dem BMX so fährst wie du sprichst, dann lach ich mich tot.«
Diesmal kam die Unterstützung für Pat aus einer ganz unerwarteten Richtung. Die Stimme befand sich inmitten der dichten Traube, die sich um die beiden gegenüberstehenden Gruppen gebildet hatte, nachdem allen klar geworden war, dass es vorerst kein Fußballspiel geben würde, und sie gehörte dem rotblonden Mädchen mit den Zöpfen.
»Du hast es gerade nötig, Frankieboy«, rief sie und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Wer wie ein Biber schielt, sollte bei Fehlern der anderen den Mund nicht zu weit aufreißen.«
Frankie lief knallrot an.
»Hehe, Jeanie-Bienie«, kam ihm sein Bruder zu Hilfe, »sseit wann hasst du hier wass zsu ssagen?«
»Und lispeln ist genauso wenig von Vorteil, wenn man cool sein will. Außerdem weiß ich, dass der Neue den Korb tausend Mal besser trifft als einer von euch. Im Werfen seid ihr die absoluten Loser. Deswegen habt ihr nie Lust auf Basketball.«
»Hehe, willsst du dich mit den Fremden verbünden, oder wass? Überleg dir dass lieber!«
»Tut nicht immer so, als wärt ihr die Mega-Obermacker. Kaum, dass ihr für ein paar Tage bei uns in Tannenwalde seid, wollt ihr alles bestimmen, und Benjamin, den sonst keiner für voll nimmt, hat auf einmal die große Klappe.«
Benjamin blies beleidigt die Backen auf. »Ha, du gehörst wohl schon zu denen da, was, Jeanie? Gut zu wissen. Wer weiß, ob du noch mal beim Fußball mitmachen darfst.«
»Und so eine Entscheidung kommt dann von dir, du Ratte?« Das als Jeanie angeredete Mädchen stieß empört die Luft aus. »Ha, vielleicht lege ich ja fest, dass du bald nicht mehr mitspielst!«
»Hey, dein Vater ist nur ein Erdferkel, das den ganzen Tag im Dreck rumwühlt – so jemand darf hier nichts bestimmen!«
»Pah, fass dir lieber mal an die eigene Nase!«
»Was … was willst du damit sagen?«
»Mein Vater hat eine ehrliche Arbeit. Deiner dagegen ist den ganzen Tag damit beschäftigt, Leuten wie Hartmann und Schindler mit krummem Buckel den Arsch nachzutragen. Wie heißt es doch so schön? Pis-torius, treuer Hund – komm schnell her, bei Fuß!«
»Na warte! Niemand beleidigt ungestraft meine Familie!« Benjamin ballte die Fäuste und schien drauf und dran, sich auf das Mädchen zu stürzen.
»Um Jeanie kümmern wir uns später«, sagte Frankie und hielt ihn an der Schulter fest. »Zuerst sind die dran.«
Er nickte zu Pat und Tim hinüber.
»Genau«, mischte sich das blonde Mädchen lautstark ein, »immer schön eins nach dem anderen.«
Langsam setzten sich die beiden Brüder wieder in Bewegung. Jetzt wurde es wirklich eng, das stand außer Frage. Vergebens suchte Pat nach einem Ausweg. Rechts breiteten sich die Hecken und das Trümmerfeld aus, im Rücken war die Turnhalle und auf dem einzigen Weg, der ins Dorf zurückführte, stand ein Teil der Fußballer herum. Es gab keine Möglichkeit zu fliehen. Entschlossen ballte Pat die Fäuste. Kampflos würde er jedenfalls nicht aufgeben.
Endlich begriff auch Tim den Ernst der Lage. »Hey, Leute, was ist bloß in euch gefahren? Hat euch der Humor verlassen?«
Urplötzlich lag ein Zittern in der Luft. Dahinein mischte sich das Geräusch von Motoren. Überquerten Flugzeuge Tannenwalde? Nein, oben am Himmel waren außer der Sonne nur die Umrisse einzelner Vögel zu sehen. Das Zittern verstärkte sich und wuchs zu einem Beben an, das den Boden unter den Füßen erschütterte. Etwas Großes, Gewaltiges schien den Ort anzusteuern. Leider war es nicht zu sehen, weil das Turnhallengebäude die Sicht versperrte. Mehrere Jungen verloren das Interesse an der eben noch drohenden Auseinandersetzung und liefen um die Turnhalle herum.
»Boah, wo wollen die denn hin?«, hörte man jemanden erstaunt rufen.
Das hatte die Wirkung eines Startschusses. Neugierig und mit schnellen Schritten verließ einer nach dem anderen den Sportplatz. Übrig blieben, neben Pat und Tim, die Hip-Hopper, Benjamin und Jeanie.
»Mann«, ertönte eine weitere Stimme vor der Turnhalle, »wenn die über die Holzbrücke fahren, dann klappt das Ding zusammen wie ’ne Pappschachtel!«
»Auf jeden, Alter!«, bestätigte ein anderer.
Frankie wandte sich an seinen Bruder. »Los, Ronnie, lass uns checken, was los ist.«
Ronnie nickte. »Und um die da kümmern wir unss sspäter?«
»Klar doch.«
»Wir sehen uns bald wieder«, zischte Benjamin zum Abschied.
Am Ende stand nur noch Jeanie neben Pat und Tim. Sie hatte inzwischen die Zopfgummi abgenommen, den Kopf geschüttelt und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. Es nutzte allerdings nichts, die rotblonde Lockenpracht ergoss sich widerspenstig nach allen Seiten.
»Danke, Schwester Jeanie«, sagte Tim großspurig zu ihr. »Vielen Dank für deine Hilfe. Wir wären allein bestimmt besser klargekommen, trotzdem – du hast was gut bei uns.«
Jeanie blitzte ihn wütend an. »Janina, verstanden? Ich heiße Ja-ni-na! Jeanie nennen mich höchstens Idioten.«
Abwehrend hob Tim die Hände. »’tschuldigung, war nicht so gemeint.«
Das Mädchen dachte gar nicht daran, seine halbherzige Entschuldigung anzunehmen.
»Meinst du nicht, dass ich ohne euch auch besser klarkomme, du Clown?«, fauchte sie. »Geholfen habe ich euch, weil die HipHop-Typen einfach ätzend sind und man sich nicht alles von denen gefallen lassen darf. Ansonsten seid ihr mir vollkommen egal.«
Damit drehte sie sich um und lief ebenfalls nach vorn. Pat fasste nach seinem Rad. Am liebsten wäre er mit Tim möglichst schnell und unauf-fällig verschwunden. Doch die Hecken und der Zaun hinter der Turnhalle blockierten den Weg. Also mussten sie den anderen wohl oder übel folgen.
»Die hat Haare auf den Zähnen.« Tim grinste und deutete auf Jeanie, die ein Stück vor ihnen herging. »Na egal, die große Blonde, die vorhin bei den anderen Mädchen gesessen hat, ist sowieso viel mehr nach meinem Geschmack.«
»Haare auf den Zähnen?«, fragte Pat und zog die Stirn kraus. »Wie soll das aussehen? So was gibt’s gar nicht!«
»Ist nur eine Redewendung«, winkte Tim ab, »die man anbringt, um jemanden zu beschreiben, der ständig widerspricht. Wird besonders gern bei Frauen angewendet. Man kann es auch anders ausdrücken: Mit der ist nicht gut Kirschen essen.«
Pat verstand zwar immer noch nicht genau, worum es ging. Aber er blieb still. Tim musste nicht merken, dass er oft keine Ahnung hatte, wovon die Rede war. Manchmal kam er sich richtig dumm vor. Vielleicht lag es daran, dass Tim nur mit zufällig aufgeschnappten und nachgeplapperten Formulierungen bluffte? In Zukunft jedenfalls, so nahm er sich vor, würde er darauf achten, ob Tims Worte wirklich mit den jeweiligen Situationen übereinstimmten. Auf diese Weise gelang es ihm vielleicht, Sinn und Unsinn voneinander zu unterscheiden.
Vor der Turnhalle hatte man einen Blick zur Straße, die sich auf der gegenüberliegenden Seite bergab wand. Eine Kolonne, bestehend aus mehreren großen Baufahrzeugen, rumpelte von dort kommend in das Dorf hinein. Die Bemerkungen der anderen waren keineswegs übertrieben gewesen. Diesem Gewicht konnte die Brücke niemals stand-halten. Doch kurz davor bogen die Fahrzeuge ab und schlugen den Weg bergan zur Kirche und zum Einkaufsviertel ein.
»Ach ja«, rief einer der Hip-Hopper mit gewichtiger Stimme, »jetzt wird mir alles klar.«
Pat rätselte anfangs, wer von den beiden Brüdern gesprochen hatte, denn in ihrem Aussehen konnte er nach wie vor keinen Unterschied erkennen. Erst als sich der andere zu Wort meldete, wusste er Bescheid.
»Ich weiss, wass du meinsst«, erwiderte Ronnie mit seiner ungelenken Zunge. »Die Bauarbeiten für die Umgesstaltung von Tannenwalde beginnen.«
»Was?«, rief Janina. »Die Abstimmung darüber hat noch gar nicht stattgefunden!«
»Na und?«, entgegnete der andere Zwilling. »Mit den Aufträgen für die Baufirmen ist das Touristenzentrum schon über eine Woche im Verzug. Nur weil ein paar Wirrköpfe querschießen, können wir es uns nicht leisten, Geld zu verschenken.«
»Sso hat ess unsser alter Herr gessagt«, nickte sein Bruder zustimmend.
»Und Hartmann musste ihm am Ende recht geben, weil die Alte das Schloss nicht rausrücken will.«