Wieder fiel die Helligkeit ohne Vorwarnung über sie her und stach wie Nadeln in den Augen. Diesmal lag es an den grellen Neonröhren.
»Endlich sind wir in der Werkstatt gelandet«, stellte Tim zufrieden fest, als er sich ans Licht gewöhnt hatte. Das Loch in der Wand, durch das sie ihre seltsame Reise erst begonnen und jetzt beendet hatten, war nirgends zu entdecken. Vorsichtig strich Tim über die raue, unverputzte Sandsteinwand, ohne den kleinsten Hinweise auf einen Durchbruch zu entdecken.
»Wie bei mir«, sagte Pat, »als ich zum ersten Mal in diese … andere Welt gegangen bin. Da war der Gang hinterher auch spurlos verschwunden.«
Ein Seufzer der Erleichterung ertönte. »Dann kann uns keiner mehr verfolgen.«
Pat nickte.
Endlich schien Tim den Ernst der Lage begriffen zu haben. Gleichzeitig fiel ihm auf, dass sich Elisabeth verdutzt umsah. Alles musste ihr unwirklich und fremd erscheinen. Wie ließ sich die Situation am besten erklären?
Während er noch auf der Suche nach den richtigen Worten war, drang eine Melodie an sein Ohr. Anfangs verband er das Geräusch nicht mit sich selbst. Da ihn die anderen jedoch anstarrten, steckte er eine Hand in die Hosentasche und zog das Handy hervor. Die seltsamen Zeichen waren vom Display verschwunden. Stattdessen blinkte ihm eine Nummer entgegen, die er gut kannte.
»Ich habe das Gefühl«, hatte er gleich darauf die Stimme seiner Mutter am Ohr, »dass du in Schwierigkeiten steckst. Habe ich recht?«
»Wie kommst du bloß darauf?« Pat bemühte sich, möglichst verwundert zu klingen. »Hier ist alles bestens, echt super.«
»Kein Unfall mit dem BMX?«
»Hey, willst du mich beleidigen?« Unwillkürlich blickte Pat zu seinem Rad hinüber, das an der Werkbank lehnte, dort, wo er es vor ihrem Aufbruch abgestellt hatte. »Ich fahre nicht wie ein Anfänger!«
»Und was ist mit Tim? Verträgst du dich mit deinem Cousin?«
»Keine Angst, wir streiten uns fast gar nicht. Hier bei Sophie gibt’s keinen Grund für Stress.«
»Sophie?«
»Ja, ähm … Großmutter Sophie.«
»Ach so. Ich habe vorhin versucht, bei ihr anzurufen. Es geht nur niemand ans Telefon.«
»Sophie … also, Großmutter Sophie ist … einkaufen.«
»Und wo seid ihr?«
»Och, wir sind im Dorf unterwegs, um zu sehen, was los ist.«
»Gefällt es euch?«
»Naja, bisschen … bisschen langweilig vielleicht … wir kommen trotzdem zurecht. Hast du sonst noch Fragen? Wir müssen nämlich weiter. Wenn Großmutter Sophie zurückkehrt, sollen wir ihr helfen, die Einkäufe ins Haus zu tragen.«
»Das finde ich gut. Nehmt eurer Großmutter ruhig ein wenig Arbeit ab.«
»Genau das haben wir vor.«
Obwohl damit alles geklärt war, ließ Pats Mutter nicht locker.
»Und du weißt«, fuhr sie fort, »wenn es irgendwelche Probleme geben sollte, kannst du mich anrufen.«
Pat verdrehte die Augen. »Jaja, mach ich.«
»Versprochen?«
»Natürlich.«
»Grüß auch Timmi und deine Großmutter ganz lieb von mir.«
Nachdenklich steckte Pat das Handy wieder weg. Normalerweise kam er gut mit seiner Mutter aus und konnte über vieles mit ihr reden. Doch wie sollte er das Geschehen hier erklären? Hätte er es versucht, wäre sie in ihren Vorahnungen bestärkt worden und wahrscheinlich sofort nach Tannenwalde gekommen, um nach dem Rechten zu sehen. Darauf konnte Pat gut verzichten. Schließlich war er kein kleines Kind, das überwacht werden musste!
Tim hatte unterdessen damit begonnen, sein eigenes Handy zu untersuchen. Nachdem er das Display von allen Seiten begutachtet hatte, drehte er es auf die Rückseite und schien das Gewicht einzuschätzen.
»Hast du eine Ahnung«, fragte er, »wo der verrückte, kahlköpfige Zausel abgeblieben ist?«
Erst in diesem Moment bemerkte Pat, dass Sunday verschwunden war.
»Vielleicht ist er irgendwo abgebogen«, schlug er vor, »und hat einen anderen Weg genommen.«
»Ha, ich habe eine bessere Idee.« Tim pochte mit einem Finger gegen das Gehäuse seines Handys. »Dass alles auf Werkseinstellungen zurückgesetzt worden ist, habe ich inzwischen verstanden. Warum meine Musikdateien gelöscht wurden, ist mir allerdings schleierhaft. Hey, und wo sind die Videos? Auch der Instagram-Account ist gekappt – hier gibt es einfach gar nichts mehr!«
»Du glaubst, dass Sunday da drin hockt?«
»Er hat selbst behauptet, dass ich ihn geweckt hätte.«
»Ihr habt euch pausenlos irgendwelchen Schwachsinn an den Kopf geworfen.«
Tim winkte ab. »Der Schwachsinn stammte von dem Idioten – von mir ganz bestimmt nicht! Ich hole jetzt einen Schraubenzieher von der Werkbank und nehme das Ding auseinander. Wenn er wirklich drin ist, dann …«
Pat hielt ihn an der Schulter fest. »Darum solltest du dich später kümmern.«
»Wieso?«
»Wir müssen hoch und nachsehen, was Hartmann, Schindler und dieser Pistorius inzwischen angerichtet haben.«
Tim schlug sich gegen die Stirn. »Stimmt, die Bande hab ich ganz vergessen.«
Mit bösem Blick musterte er das Handy und schob es zurück in seine Hosentasche.
»Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, mein Freund«, sagte er drohend. »Ich erwisch’ dich schon noch.«
Elisabeth schloss sich Pat und Tim an. Alles um sie her war rätselhaft und äußerst merkwürdig. Den Jungen dagegen schienen die seltsamen Dinge und Gerätschaften vertraut zu sein. Leider konnte sie deren Wortwechsel ebenso wenig deuten wie Pats Zwiegespräch, das er mit dem kleinen Kästchen geführt hatte.
Trotz aller Ungereimtheiten rückten die Fragen vorerst in den Hintergrund. Elisabeth hoffte inständigst, dass das Ende des Ganges unterhalb der Stadt lag. Sie hatte wohl etwas viel vom Seewasser geschluckt, denn ein dringendes Bedürfnis machte sich immer stärker bemerkbar. Es wurde Zeit, nach einem Donnerbalken Ausschau zu halten!